Klettern in aller Welt
Artikel
Fixe Exen und der Tod
In den letzten Jahren wurde es zunehmend gang und gäbe, dass besonders in überhängenden Routen fixe Expressschlingen, dazu noch oft alte, eigentlich bereits ausgemusterte Schlingen, oft über Jahre am Fels belassen werden.
Neben der mechanischen Abnutzung wegen immer gleicher Belastung der Expressschlinge und deren Karabiner finden hier auch witterungsbedingt stark beschleunigte Alterungsprozesse statt, die zwangsläufig zu erheblich verminderten Haltekräften dieser in der Regel sehr häufig benutzten Sicherungspunkte führen.
Folgende Probleme treten auf:
- Oft werden alte ausgemusterte Expressschlingen, die man an sich nicht mehr fürs normale Klettern verwendet, von Kletterern der Bequemlichkeit halber in projektierten Routen belassen. Wo der Sinn liegt, gerade in schwierigen Routen, in denen regelmäßig gestürzt wird, das älteste Material zu belassen, ist nicht wirklich nachvollziehbar
- Oft werden dazu noch im Baumarkt herkömmliche Schäkel gekauft, um die Schlingen im Haken zu fixieren. Diese Schäkel haben, wenn sie kostengünstig sind, in der Regel Bruchlasten weit unter den Erfordernissen, sind oft maximal 6mm im Durchmesser, lediglich und verzinkt, kein rostfreier Edelstahl. In der Konsequenz sind diese Schäkel bereits nach kurzer Zeit von den Bohrhakenlaschen, in denen sie befestigt sind derart eingekerbt, dass sie bereits bei normalen Stürzen reißen können. Hinzu kommt noch Rost im Laufe der Jahre sowie im ungünstigsten Fall chemische Reaktionen zwischen Haken und Schäkel, soweit dieser nicht aus Edelstahl besteht und Haken und Schäkel aus unterschiedlichen, nicht „kompatiblen“ Metallen gefertigt sind.
- Regenwasser und Staub laufen im Verlauf der Zeit immer wieder über den Karabiner und in den Schnapper-Mechanismus. Dieser ist bereits nach kurzer Zeit verunreinigt (Staub, Kalkablagerungen,...) und funktioniert nicht mehr zuverlässig, schließt also oft nicht mehr richtig. Das Ergebnis ist eine Schnapper-Offen-Belastung solcher Karabiner und damit einhergehend eine extrem verringerte grundsätzliche Haltekraft. Oft sind solche Schnapper-Offen-Zustände gar nicht richtig erkennbar, da lediglich die letzte Schließphase des Karabiners nicht mehr funktioniert, die mit bloßem Auge kaum wahrnehmbar ist. Aber wenn ein Karabiner nicht mehr mit einem deutlichen „Klick“ schließt, ist auf jeden Fall Vorsicht angesagt!
- Da Expressschlingen über einen langen Zeitraum immer an genau der selben Stelle hängen, kann es vorkommen, dass sie durch ständiges Reiben am Fels aufgerieben werden. Da dies in der Regel auf der Rückseite der Fall ist, ist dies oft auf den ersten Blick nicht erkennbar. Z. B. war in einem zentralen Sturzhaken in Masone in einer vielversuchten 8b-Route der hintere Teil der fixen Expressschlinge komplett durchgerieben und kaum jemand hat dies realisiert.
- Da die Expressschlingen immer gleich hängen und immer gleich belastet werden, werden besonders Karabiner, die in Sturzhaken hängen, sowie Karabiner in Expressschlingen, die beim Ablassen unter Spannung stehen, mechanisch stark beansprucht und abgerieben. Bei den Sturzhaken führt dies durch eine Seilrichtungsumkehrung von 180 ° in der Regel zu einem runden Abrieb, der zwar nach längerer Zeit auch erheblich sein kann, aber doch eben in der Regel sehr lange braucht. Ganz anders sieht es bei Expressschlingen aus, die beim Ablassen belastet werden. Oft sind dies die ersten Sicherungspunkte oder leicht aus der Hakenlinie versetzte Sicherungspunkte, bei denen dann eine Art senkrechte Belastung (sehr geringe Seilrichtungsänderung von wenigen Grad) während des gesamten Ablassprozesses (und auch bei allen Vorstiegsbelastungen) auftritt. Dies führt zu einem sehr schnellen Materialabrieb an den aus Weichmetall bestehenden Karabinern. Da hier keine Rundbelastung auftritt, wie bei Karabinern in Sturzhaken, sondern eine nahezu waagerechte Raspelwirkung des Seiles stattfindet, wird hier über kurz oder lang durch den Materialabrieb eine messerscharfe Kante entstehen. Nicht selten findet man Karabiner vor, bei denen weit über die Hälfte des Materials weggerieben wurde. Besonders ausgeprägt ist dieser „Messerkanteneffekt bei Profilkarabinern, da bei diesen nicht nur eine scharfe 90° Kante entsteht, sondern aufgrund des Profils weitaus schärfere Kantenwinkel möglich sind. Bereits das Ablassen von nur wenigen Metern in einem solchen Karabiner zerstört den Seilmantel nahezu vollständig. Ein Sturz wird im Normalfall den Seilmantel sofort aufreißen und den Kern frei legen. Jüngste Untersuchungen haben gezeigt, dass bei ungünstiger Belastungsrichtung das Seil bereits bei geringen Belastungen wie z. B. bei einem Pendelsturz wie mit einem Messer durchgeschnitten werden kann. Solche abgeriebenen Karabiner bedeuten eine tödliche Gefahr!
Hinzu kommt noch die verminderte mechanische Haltekraft des abgeriebenen Karabiners. Durch den Abrieb entsteht eine Art Sollbruchstelle. Ein aus einer Route entnommener, von der Seilreibung stark abgeschliffener Karabiner wurde von uns mit der Nase in einem Plättchen eingehängt, was eine maximal ungünstige Schnapper-Offen-Belastung simuliert. Eine im Karabiner eingehängte lange Bandschlinge wurde von uns langsam mit dem eigenen Körpergewicht belastet. Bereits weit unterhalb des vollen Gewichts, also bereits bei einer Belastung mit ca. 50 kg !!!! riss der Karabiner ab!
Von der Seilreibung eingeschliffener Karabiner einer fixen Expressschlinge
|
Selber Karabiner, an der Nase eingehängt und belastet: Bruch bei ca. 50 kg Belastung!
|
- Der in einem Plättchen mit scharfen Kanten befindliche Karabiner oder Schäkel wird besonders bei Sturzhaken im Laufe der Zeit sehr stark eingekerbt. Materialverlust von oft weit über die Hälfte des Durchmessers ist keine Seltenheit. Untersuchungen haben gezeigt, dass 30% weniger Material in etwa 70% Bruchlastminderung des Karabiners bedeutet!!!!
- Der Seilabrieb in allen belasteten Karabinern und auch Umlenkungen kann bei ungünstigen Umgebungsbedingungen drastisch erhöht sein! Z. B. Staub und feuchte Umgebung bewirken, dass sich Staubkörnchen, Sand oder auch kleine Steinpartikel am Seil festsetzen und dieses somit wie eine Art Raspel wirkt!
Beim Eisklettern kann dieser Effekt drastische Züge annehmen. An einem vereisten Seil können sich richtige kleine Steinkörnchen festsetzen und dieses somit wie eine richtig grobe Raspel wirken. Es gab Fälle, bei denen beim Toprope-Eisklettern ein neuer Karabiner beim 2. Mal Ablassen durchgeschliffen war und gebrochen ist!
- Bandschlingenmaterial (Expressschlingen) ist im Gegensatz zu Kernmantel-Material (Seile) sehr stark UV-Licht anfällig. Bereits nach wenigen Wochen können Wind und Wetter und starker Sonneneinstrahlung ausgesetzte Schlingen einen Großteil ihrer Haltekraft verlieren. Es muss davon ausgegangen werden, dass solche Schlingen zum Teil weit unter 70% der ursprünglichen Bruchlast aufweisen. Teilweise können bereits Schlingen bei der Belastung mit dem eigenen Körpergewicht reißen. Mehrfach gab es bei an sich intakt aussehenden Schlingenständen im Hochgebirge Schlingenrisse mit tödlichem Ausgang. Auch fixe Expressschlingen sind bereits mehrfach bei Belastung mit dem eigenen Körpergewicht gerissen.
Ganz extrem ist UV-Licht im Zusammenhang mit Kevlar-Material. Kevlar ist nahezu komplett UV-unbeständig. Lediglich der Mantel dieses Materials schützt den Kevlar-Innenteil vor UV-Zerstörung. Ist der schützende Mantel beschädigt, reichen bereits wenige Tage intensive Sonneneinstrahlung um das Material erheblich zu schwächen, Materialrisse sind dann vorprogrammiert.
- Selbstgeknotete Bandschlingen verlieren erheblich an Festigkeit. Der Knoten ist hier das Problem. Besonders bei Dyneema-Schlingen tritt hier ein gefährlicher Effekt auf, der auch neue Schlingen bei geringer Belastung zum Reißen bringen kann. Durch die Materialsteifigkeit wird im Knoten bei Belastung das Material „durchgeschnitten“. Also Knoten in der Schlinge oder das Verbinden mehrerer Schlingen birgt hier potenziell tödliche Gefahr! Aber auch herkömmliches Bandmaterial verliert durch einen Knoten erheblich an Festigkeit! Fixe Exen mit geknotetem Bandmaterial sind also völlig inakzeptabel!
Gefahrenquellen bei fixen Expressschlingen zusammengefasst:
- Von vorne herein werden alte, an sich ausgemusterte Expressschlingen verwendet
- Schäkel mit unzureichender Bruchlast
- Schäkel mit minderem Material (kein Edelstahl)
- Inkompatible Metalle zwischen Haken und Schäkel
- Schnappermechanismus der Karabiner durch Verunreinigungen beeinträchtigt
- Bandmaterial der Expressschlingen wird mechanisch abgerieben
- Materialabrieb im Karabiner vom Seil --> Erhebliche Bruchlastminderung
- Einkerbungen am Karabiner vom Plättchen --> Erhebliche Bruchlastminderung
- Materialabrieb im Karabiner vom Seil --> Messerscharfe Kante, die Seile schneiden kann
- UV-Licht-Anfälligkeit von Bandmaterial
- Geknotetes Bandmaterial
Ansätze für eine Lösungen der aufgezeigten Probleme:
- Wenn schon fixe Schlingen in Routen angebracht werden, sollte man zumindest darauf achten, Edelstahl-Schäkel mit ausreichendem Materialdurchmesser zu verwenden (A4 mit mind. 8mm).
- Die Karabiner selbst sollten Edelstahl-Karabiner sein, wie diese aus gutem Grund auch in Kletterhallen verwendet werden, da hier der Materialabrieb weitaus langsamer vonstatten geht, als bei gebräuchlichen Karabinern mit Alu-Legierungen.
- Die Schlingen selbst sollten möglichst dick sein, an kritischen Stellen, wo Kontakt mit dem Fels auftritt z. B. durch dicke Tape-Lagen geschützt werden (möglichst hoher Widerstand gegen mechanischen Abrieb) und möglichst nicht aus Kevlar-Material bestehen, um die UV-Anfälligkeit zu minimieren. Noch besser wäre die Verwendung von Kern-Mantel-Material, am besten aus Statikseil. Die beste Alternative ist jedoch die Verwendung von genormten Edelstahl-Ketten. Ganz neu auf dem Markt ist auch ein System aus Stahlseil.
Trotz all dieser Maßnahmen wird jedoch jede fixe Expressschlinge über kurz oder lang dem Alterungs- und Abriebsprozess unterliegen und ohne regelmäßigen Austausch irgendwann zu einer tödlichen Gefahr!
Fazit kann schlussendlich nur sein, in jeder Route die fixen Expressschlingen für Versuche durch eigene Schlingen zu ersetzten! Man lebt nur einmal!!!
An dieser Stelle sei noch ein weiteres Gefahrenmoment für Karabinerbrüche erwähnt, dem man leider so gut wie alternativlos ausgeliefert ist:
Besonders bei Express-Ankern mit 12mm Durchmesser kommt es häufig vor, dass die Plättchen eines bestimmten Herstellers einen sehr engen Abstand zwischen Anker und Plättchenöffnung aufweisen. Daher kommt es hier extrem leicht und auch häufig zu einem Verkeilen des Karabiners mit dem herausstehenden Stift des Ankers. Zwar kann bei entsprechender Einhängrichtung des Karabiners das Problem etwas entschärft werden, jedoch niemals vollständig. Bereits geringste Bewegungen des Seils beim Klettern können hier zu einem Verkeilen des Karabiners führen. Ein so verkeilter Karabiner erfährt dann im Falle eines Sturzes ungünstigste Hebelbelastungen, für die die Karabiner nicht konzipiert sind. Karabinerbruch ist hier vorprogrammiert. Außerdem kann sehr leicht der Schnapper aufgedrückt werden, so dass auch hier ein Bruch des Karabiners im Sturzfalle zu erwarten ist.
Beim RP- bzw. Onsight-Klettern lässt sich dagegen nichts tun, da man oft auch nicht vorab ahnen kann, wie herum der Karabiner fürs Weiterklettern eingehängt werden sollte.
Für Versuche nach einem ersten Ausbouldern sollten im Zweifel aber besonders an kritischen Stellen die Schlingen mit ausreichend dicken Edelstahl-Schäkeln im Haken befestigt werden. Schraubkarabiner können auch helfen, können sich aber auch wie ein normaler Karabiner leicht verkeilen.