(sorry, no english version available)
Text von Harald Röker
Nach einem tragischen Kletterunfall im November 2014 (Ausbruch eines Standes mit dem kompletten Felsblock, in dem dieser befestigt war) und einem weiteren Beinaheunfall in der Region (Hakenausbruch an einem Stand in einer alpinen Route am Monte Monaco) kursierten in den letzten Monaten in verschiedenen Online-Medien immer wieder Meinungsäußerungen zur generellen Sicherheit im Klettergebiet San Vito lo Capo in Sizilien. Auch Print-Medien haben dieses Thema in letzter Zeit aufgegriffen.
Dabei wurden sowohl Sprengungen in Steinbrüchen in unmittelbarer Gebietsnähe zitiert, die sich angeblich als spürbare Vibrationen beim Klettern bemerkbar machen, als auch pauschal von schlampiger Erschließungsarbeit gesprochen.
Nachdem ich in letzter Zeit immer mal wieder von völlig verunsicherten Kletterern zum Thema Sicherheit im Klettergebiet San Vito angesprochen wurde, möchte ich in meiner Eigenschaft als Führerautor, Erschließer und damit einhergehend als sehr guter Gebietskenner, der die meisten Sportkletter-Routen, die Haupterschließer und ihre Arbeitsweise persönlich kennt, im Folgenden versuchen, für die Sportkletter-Sektoren im Klettergebiet San Vito lo Capo eine genauere und möglichst objektive Einschätzung durchzuführen. Auf die Sicherheit in alpinen Routen möchte ich an dieser Stelle jedoch nicht eingehen. Auf den tragischen Standausbruch soll hier auch nicht näher eingegangen werden. Der Ausbruch eines großen Felsblockes, in dem sich die Umlenkung befand, ist ein schrecklicher Unglücksfall, hat jedoch nicht das Geringste mit der nun in Frage gestellten allgemeinen Materialsicherheit im Gebiet zu tun.
Vielmehr soll an dieser Stelle ein objektives Bild der generellen Sicherungssituation im Gebiet gezeichnet werden, so dass mit fachlichen Hintergrundinformationen versehen, sich schlussendlich jeder eine eigene Meinung bilden kann.
Zuallererst muss klargestellt werden, dass die letzten Testsprengungen in der Gegend um San Vito zur Erkundung qualitativ hochwertiger Marmorvorkommen laut Auskunft einheimischer Personen in den 70er-Jahren durchgeführt wurden, und das auch nur im Bereich Cala Mancina, an der Grotta del Cavallo und am Sektor Bunker. Also lange, bevor mit der jetztigen Erschließung des Salinella-Felsriegels im Jahre 2006 begonnen wurde.
Beim Abbau von Marmor werden auch keine Sprengungen durchgeführt, da diese das spröde Gestein zerstören würden. Marmor wird geschnitten!
Entgegen anderslautenden Aussagen gab es also im gesamten Bereich des Gebietes Scogliera di Salinella in jüngerer Vergangenheit keine Sprengungen!
Aktuell gibt es im gesamten Gebiet um San Vito lo Capo auch keine Steinbrüche mehr, in denen aktiv Marmor abgebaut wird.
Die meisten Sportkletter-Routen im Gebiet wurden von Josef Gstöttenmayr, Scott und Jim Titt sowie Daniele Arena privat eingebohrt. Alle diese Haupterschließer sind jahrelang erfahrene Routenerschließer und handeln nach bestem Wissen und Gewissen.
In der Regel sind alle Routen im Gebiet so eng eingebohrt, dass selbst beim Versagen eines einzelnen Hakens nicht sofort automatisch ein Bodensturz erfolgt, sondern ein darunter liegender Haken noch Sicherheit gibt.
Es handelt sich nicht um eine öffentliche Einrichtung wie z. B. eine Kletterhalle, sondern um eine Ansammlung von privat erschlossenen Routen in freier Natur, die von jedem unentgeltlich und in Eigenverantwortung beklettert werden können.
Eine 100%ige Sicherheit kann und wird es beim Klettern in der freien Natur nie geben, das ist schlicht und einfach unmöglich.
Fast sämtliche Routen von Josef, Scott und Jim und auch sehr viele Routen von Daniele sind mit geklebten Edelstahlbohrhaken ausgerüstet.
Ein Materialversagen des Metalls eines solchen Hakens selbst ist in keinem Fall bekannt, egal ob es sich um A2 oder um A4 Edelstahl handelt.
In San Vito ist der überwiegende Anteil der Routen unter 7b mit Klebehaken ausgerüstet, dies gilt insbesondere fast für das gesamte Gebiet Scogliera di Salinella.
Die Klebehaken mit normal großer Hakenöse, die Jim Titt, Scott Titt, Karsten Oelze und Harald Röker verwenden (Bolt Products, 6mm Twisted Leg, 80 mm lang), haben eine Standard-Festigkeit von 40 KN.
Bei diesem Hakentyp wurden bei Auszugstests OHNE Kleber zudem Haltekräfte in axialer Richtung von 8-12 KN ermittelt. In radialer Richtung sogar 15-20 KN.
Diese Haken bieten auch bei einem eventuellen Kleberversagen noch eine gewisse Restfestigkeit. Daher wurde dieser Hakentyp sogar mit dem Outdoor Industry Award 2008 ausgezeichnet.
Wen es interessiert, der findet auf der Internetseite von Bolt Products ausführliche Informationen rund ums Thema Bohrhaken. Beispielsweise auch Ergebnisse verschiedener Auszugstests: http://www.bolt-products.com/StrengthandTests.htm
Die Haken, die Josef Gstöttenmayer verwendet, haben folgende Werte:
Klebehaken: mind. 30 kN (meist über 40 kN) axiale Auszugskraft
Umlenker (alt): mind. 12 kN axiale Auszugskraft (ca. 120 mm tief geklebt)
Abseilringe: mind. 25 kN Bruchlast (alle einmal mit 15kN vorbelastet)
Umlenkwidder mit 2 BH und Kette (seit ca. 2 Jahren verwendet): ca. 15 kN Aufrolllast
Die radialen Auszugswerte liegen üblicherweise wesentlich höher.
In den Routen von Josef Gstöttenmayr befindet sich neben jedem Umlenker ein zusätzlicher Bohrhaken, so dass beim Toprope-Klettern grundsätzlich Redundanz gegeben ist.
Fast alle Routen in San Vito sind entweder mit derartigen Umlenkungen versehen oder haben Umlenkungen mit 2 miteinander verbundenen Bohrhaken, so dass auch hier Redundanz am Stand vorhanden ist.
Auch Klebehaken bieten keine 100%ige Sicherheit. Immer wieder kommt es in jedem Klettergebiet der Welt vor, dass der Kleber oder Schnellzement von Haken nicht richtig fest wurde, oder sich im Laufe der Zeit gelockert hat. In Oltre Finale musste schon ein ganzes Gebiet mit solch lockeren Haken wieder neu eingebohrt werden, auf der Schwäbischen Alb, im Frankenjura und überall auf der Welt gibt es immer wieder Kleberversagen aus den verschiedensten Gründen.
In den Sportklettergebieten von San Vito ist mir lediglich in einem Fall von einem Versagen des Klebers in einer Route bekannt: es handelt sich um „Retrobolter“ im Sektor Pietraia.
An einigen Umlenkungen wackeln die dort angebrachten Sauschwänze leicht. Der Versuch, diese mit Spezialwerkzeug auszuziehen, schlug fehl. Obwohl zum Teil im Vorderbereich des Bohrloches der Kleber abgebröckelt war, haben sämtliche getesteten Sauschwänze, deren Schaftlänge je nach Typ 120-150 mm beträgt, gehalten. Selbst nachdem ein Sauschwanz soweit gelockert wurde, dass er um 360 Grad gedreht werden konnte, ließ er sich trotz Verwendung langer Hebelwerkzeuge immer noch nicht heraus ziehen.
Trotzdem ist in Planung, diese für viele Kletterer ungewohnt zu bedienenden Sauschwänze nach und nach auszutauschen.
Kleberversagen kann und wird immer mal wieder vorkommen. Im Vergleich zu anderen Klettergebieten ist das Auftreten eines solchen Falles aber durchaus nichts Ungewöhnliches.
Im Gegenteil: In San Vito wurde in vielen Fällen hochfester und seeumgebungstauglicher Epoxyacrylat-Kleber verwendet. Die Versagensquote dieses Klebertyps liegt z. B. weit unterhalb derjenigen von in unseren Breiten sehr oft verwendeten Glasmörtelpatronen.
Sowohl Josef Gstöttenmayr als auch Jim Titt machen bei einem Wechsel des verwendeten Klebertyps grundsätzlich Auszugstests, um eine ausreichende Festigkeit der Klebeverbindung zu gewährleisten. Scott Titt, Karsten Oelze und Harald Röker verwenden im Normalfall den selben Klebertyp wie Jim Titt.
Aber man kann nur immer wiederholen: Es gibt keine 100%ige Sicherheit, egal bei welchem Befestigungssystem.
Manche Klebertypen werden in entsprechender Umgebung sicher auch schneller altern, als andere. Ein waches Auge sollte man stets auf das Material haben, an dem man klettert, egal wo!
Hier muss man ganz klar die Eigenverantwortung im Klettersport heraus stellen. Jeder ist für die eigene Sicherheit beim Klettern selbst verantwortlich, immer und überall! Man sollte also stets einen Blick auf die Haken werfen, die man einhängt. In der Regel kann man einen lockeren Haken erkennen, dieser hört sich beim Einhängen anders an, als ein solider Haken und in der Regel kann man auch ein leichtes „Wackeln“ spüren, wenn der Haken nicht richtig fest ist. Man sollte auch immer darauf achten, dass der Kleber in den Bohrlöchern richtig ausgehärtet ist und dass er tief im Bohrloch selbst nicht ausbröckelt.
In den gehobeneren Schwierigkeitsgraden und in stärker überhängenden Wandpartien gibt es auch immer wieder Routen, die mit Spreizdübelhaken ausgerüstet sind. Meist handelt es sich um Routen in den Schwierigkeitsgraden ab 7b aufwärts. Insbesondere gibt es im Gebiet Rocca Firriato, im gesamten Bereich der Gebiete am Monte Monaco, rund um Macari/Castelluzzo sowie in den Gebieten bei Custonaci viele Routen mit Spreizdübel-Bohrhaken. Darüber hinaus im Gebiet Salinella vornehmlich in den dortigen Grotten.
Solche Routen von Josef Gstöttenmayr, Scott und Jim Titt, Karsten Oelze und Harald Röker sind in der Regel mit A4-Edelstahl-Dübeln ausgerüstet. Ein Versagen dieses Dübeltyps ist bis dato nicht bekannt.
Die Laschen (Hänger), die Josef Gstöttenmayr verwendet (gestanzt oder geschweißt), haben eine Bruchlast von mind. 30 kN.
Ein Versagen des Metalls von Edelstahl-Hängern, egal ob A2 oder A4 Edelstahl ist bis dato nicht bekannt.
Vorsicht ist jedoch derzeit in der Grotta dei Santi geboten.
Hier gibt es hauptsächlich einige sehr schwierige Routen im französischen 8ten Grad.
In dieser Grotte gab es Brüche von Bohrhaken-Dübeln von relativ neuem Material an zwei Umlenkungen. Es ist allerdings nicht bekannt und kann auch nicht mehr nachvollzogen werden, um welche Stahlqualität es sich bei den gebrochenen Dübeln gehandelt hat. Eventuell wurden hier auch Nicht-Edelstahl-Dübel verwendet (in unmittelbarer Nähe steckte noch ein total verrosteter Hilfsbohrhakendübel, der fürs Einrichten verwendet wurde und offensichtlich aus Nicht-Edelstahl war).
Für die Zwischenhaken der dortigen Routen wurden in der Regel A2-Edelstahldübel verwendet. Ein Ausbruch von Zwischenhaken in den dortigen Routen ist derzeit nicht bekannt. Eine Überprüfung der vorsorglich ersetzten A2-Haken in der Route IDDU ergab auch keine offensichtlichen Festigkeitsprobleme.
Auch ein zweiter Haken, der an einer der beiden Umlenkungen noch vorhanden war, wies keine offensichtlichen Festigkeitsprobleme auf. Dieser Dübel war A2-Stahlqualität.
Derzeit kann nur vermutet werden, dass die in dieser Grotte an den besagten beiden Umlenkungen verwendeten Dübel zumindest teilweise mit einem Materialproblem behaftet waren. Entweder es handelte sich um Nicht-Edelstahl oder es gab Materialprobleme, falls es sich um A2-Edelstahl gehandelt haben sollte.
Die beiden ausgebrochenen Stände sowie die meisten Zwischen-Haken in der Route IDDU sind mittlerweile saniert.
Außerdem ist in einigen Routen an der Cattedrale nel Deserto Vorsicht geboten. Dies ist der älteste Sportklettersektor des Gebiets und einige dieser alten Haken sind mittlerweile den Witterungseinflüssen entsprechend gealtert. Einige Routen vor allem im linken Bereich wurden bereits saniert, doch es gibt immer noch ältere Routen, bei denen man sich den Hakenzustand genau anschauen sollte. Außerdem sind hier Routen, die mit einem bestimmten Bohrhakentyp aus Inox-Stahl eingerichtet wurden (auf der Lasche ist „Inox“ aufgeprägt), der im Zeitraum vor 3-5 Jahren - soweit mir bekannt - ausschließlich von italienischen Erschließern verwendet wurde, von starker unüblicher Korrosion betroffen. Diese Haken sollte man meiden. Bei Sanierungsarbeiten konnten Haken diesen Typs mit dem Schlüssel sehr leicht abgedreht werden!
Ebenso ist derzeit bei vereinzelten Routen in anderen Sektoren im Gebiet Vorsicht geboten: An der Crown of Aragon (auch einer der ältesten Sportklettersektoren in San Vito) sind mittlerweile einige Haken stark korrodiert, ebenso am Sektor Nuova Ossessione.
Detaillierte Auskünfte dazu erhält man im YMCA climbing house in San Vito lo Capo. Ein Ersetzen dieser Bohrhaken wird von Daniele und Ivan vom YMCA climbing house derzeit vorbereitet. Einige Routen sind sogar bereits saniert.
Spreizdübel-Haken aus Nicht-Edelstahl
Im gesamten Gebiet gibt es darüber hinaus immer wieder einzelne Routen, die mit Bohrhaken von minderer Stahlqualität ausgerüstet sind. Dies sind jedoch sehr wenige, ganz vereinzelte Routen. Diese Haken kann man an der Rostbildung erkennen.
In der Regel rosten zuerst massiv die Unterlagsscheiben und die Schraube. Oft weist auch ein aus dem Bohrloch laufender Roststreifen auf ein Problem mit dem Material hin (nicht zu verwechseln mit bräunlichen, mineralischen Ablagerungen in manchen Felsbereichen).
Bei solchen verrosteten Haken sollte man auf eine Begehung der Route verzichten.
Die meisten dieser Routen sind allerdings im Laufe der letzten Jahre bereits saniert worden.
Derzeit gibt es mehrere Routen (Schwierigkeit 7b bis 8a+) mit Nicht-Edelstahl Bohrhaken lediglich im Sektor Lost World.
Diese Routen sind im Kletterführer entsprechend gekennzeichnet (Sicily-Rock, GEBRO Verlag).
Wann immer bekannt ist, dass Nicht-Edelstahlhaken verwendet wurden, ist dies in der Regel im Kletterführer (Sicily-Rock, GEBRO Verlag) vermerkt.
Hinweise zu dem Thema nehmen wir selbstverständlich jederzeit entgegen!
Jedes Problem darf gerne ans YMCA climbing house in San Vito lo Capo (www.ymcaclimbingsanvito.it) und an uns (www.gebro-verlag.de) gemeldet werden. Nur wenn Probleme bekannt sind, kann man sie auch abstellen!
Obwohl viele fleißige private Erschließer immer wieder auch Sanierungen von bekannt gewordenen Problemhaken vornehmen, kann und wird es eine 100%ige Sicherheit niemals geben.
Es kann immer nur wiederholt werden: Klettern an sich und auch das Klettern in San Vito ist eine vollständig in der Eigenverantwortung des Kletternden liegende Tätigkeit.
Zukünftige Erschließer sollten in jedem Fall folgende Minimalregeln unbedingt beachten:
Wer also derzeit aufs Klettern in der Grotta dei Santi und an der Cattedrale nel Deserto bzw. dort und anderswo auf Routen mit rostigen Dübeln/Inox-Hängern verzichtet und generell von verrosteten Haken die Finger lässt, der wird in San Vito nach derzeitigem Kenntnisstand nach wie vor ein hervorragend abgesichertes Klettergebiet vorfinden, das in puncto Sicherheit weit über den meisten Klettergebieten weltweit rangiert.
Eine 100%ige Sicherheit wird es nie geben. Die Eigenverantwortung im Klettersport für das eigene Tun kann nicht oft genug herausgestellt werden.
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