(21.06.2024)
Text und Fotos: Harald Röker
Völlig entnervt von wochenlangem nahezu Dauerregenwetter und komplett grundgespülten Allgäuer Klettergebieten springe ich ins schnell gepackte Auto und entfliehe dem drohenden Nervenkollaps. Schon kurz hinter Kempten kann der Scheibenwischer tatsächlich abgeschaltet werden und auf der ganzen Fahrt Richtung alte schwäbische Heimat begleiten mich immer wieder liebkosende Sonnenstrahlen.
Nachdem ich viele Felsen auf der Ostalb rund um Geislingen schon ewig nicht mehr besucht habe und die dortigen Gemäuer in gar schauerlicher Erinnerung habe, was Felsfestigkeit und Absicherung angeht, bin ich gespannt, was einen dort, gut 35 Jahre später, erwartet. Trocken ist es hier zumindest schonmal und so steht einigen erlebnisreichen Klettertagen zusammen mit meinem Bruder Uli nichts mehr im Wege.
Auf der Pirsch, Tag 1Das erste Ziel unserer Schwäbische-Alb-Bräschdlingsjagd ist der etwas außerhalb des Geislinger Haupt-Gebietes gelegene Beutelfels. Eine kleine Wanderung muss man zwar auf sich nehmen, dafür ist es dann am Fels mit gemütlich-sonnigem Ambiente angenehm ruhig. Schon fast zu ruhig denkt man sich irgendwann, wo sind denn bloß die ganzen Kletterer? Hängen die alle nur noch in Hallen und in den allseits gehypten Da-muss-man-gewesen-sein-Klettergebieten in Griechenland ab? Selbst schuld denke ich mir, denn mittlerweile sind die Felsen hier auch hervorragend abgesichert, und sieht man mal von dem einen oder anderen nach wie vor vorhandenen lockeren Felsbereich ab, sind die Klettereien in den unteren und mittleren Graden hier auf der Schwäbischen Alb so interessant wie nirgends sonst auf der Welt. Die Schmankerl am jeweiligen Fels, die im Sportkletter-Auswahlführer "Spätzle & Seil" mit einer Erdbeere (schwäbisch: Bräschdling) markiert sind, lassen jedenfalls auch das in 45 Kletterjahren doch auch schon einiges gesehen habende Kletterherz höher schlagen, und beim Klippen der Umlenkungen hört man nicht selten ein 'hammergeil' von oben schallen. War das "Rotschopferl" (6) schon wirklich richtig klasse Kletterei, so gerate ich bei "Hummelflug" (6), einer spektakulär ausgesetzten steilen Kantenkletterei entlang eines genial-henkligen Risses endgültig ins Schwärmen. Die "Alte Talseite" mit ihrem neueren Direktzustieg (7), die an der selben Umlenkung endet, steht dem nichts nach. Gigantische athletisch-überhängende Lochkletterei an meist überraschend auftauchenden Henkeln lassen zwar die Unterarme bereits ordentlich anschwellen, aber auch hier ist Kletterspaß pur angesagt. |
Der Beutelfels mit seiner gut überhängenden Talseite
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In den letzten Jahren ist die Absicherungssituation an vielen Wänden nun tatsächlich richtig gut geworden. Endlich gibt es den einen oder anderen Sanierer, der es geschafft hat, über den 'Älblerschatten' zu springen und Haken einfach dort hin setzt, wo man auch als kleinerer Mensch vernünftig einhängen kann, so dass man nicht ständig Bodensturzängste mitten beim Klippen in der Schlüsselstelle ausstehen muss. Sprich, man kann hier endlich vernünftig klettern! Soll nicht heißen, dass es auf der Alb übersichert ist, man muss nach wie vor an der einen oder anderen Passage beherzt vom Haken wegklettern, aber es macht jetzt einfach Spaß! Konzentrieren muss man sich nach wie vor, schon alleine, weil die Kletterei oft ein wunderbar technisches Hin-und-Her darstellt, einfach auszuknobeln ist die einfachste Kletterlinie in den seltensten Fällen, aber gerade das macht den besonderen Reiz und die Einmaligkeit der Albkletterei aus. |
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Bräschdlingsjagd, Tag 2Am zweiten Tag unserer Sammelaktion besonderer Schmankerl-Klettereien schleppen wir uns, von den Klettereien gestern schon etwas angeschlagen in den Zehen, Richtung Drehfels. Im Roggental hoch über Eybach thront dieser imposante Felsturm, der mit zwei absoluten 'Muss-Routen' auf uns wartet. Am Hinweg passiert man schon einige ebenfalls interessant aussehende Wände, zu denen, kurz vorm eigentlichen Ziel, gut angelegte Stufen empor führen. Diese Nebenfelsen des Drehfels sollen aber heute nicht unser Ziel sein, auch wenn uns zu Ohren gekommen ist, dass sich diese in den letzten Jahren mit großangelegten Sanierungs- und Ausräumaktionen ebenfalls von gruslig abenteuerlich-brüchiger Harakirikletterei nun zu durchaus lohnenswerten Kletterzielen gemausert haben sollen. Wir schnaufen jedenfalls auf dem Wanderweg erstmal geradeaus weiter bis zum etwa 200 Meter weiter gelegenen Drehfels selbst. Die besten Routen sind hier eindeutig im schattig nördlich ausgerichteten sehr steilen Teil des mächtigen und doch filigranen Felsturms zu suchen. Und auch hier lächeln dem zunächst skeptischen Albveteranen solide Klebehaken in spaßverdächtigen Hakenabständen entgegen. Der "Wolfgang Amadeus" (6+) sieht von unten zunächst alles andere als ein gemütlicher 6er aus, doch tatsächlich sind wie perfekt angeordnete Tritt- und Griffkombinationen der Schlüssel durch die für den Grad wirklich steile Turmwand. Wir haben auf jeden Fall wieder mächtig Spaß und nach dem "Amadeus" steht dann gleich noch der zwar deutlich anstrengendere aber mindestens genauso schöne "Gonzo" (7+) auf dem Speiseplan. Die etwas versteckt gelegenen besseren Griffe am Ausstieg übersehe ich zwar komplett, denn zum lange Suchen bleibt in der trittarmen steilen Abschlusspassage wenig Zeit, doch zum Glück haben die Unterarme noch etwas Reserve, so dass auch die eher kleinen runden Mistgriffchen, die ich ersatzweise erwische, auch kein riesen Problem darstellen. Die meisten anderen Routen am Fels weisen zwar deutlich alpiner angehauchtes Gestein auf und können an die Linien auf der Nordseite nicht heran, aber auch hier kann man klettern. Am Ende des Klettertages können wir auf jeden Fall wieder zwei der erinnerungswürdigsten Alb-Klettereien in diesen Schwierigkeitsbereichen ins Tourenbuch eintragen. Auf dem Rückweg riskieren wir noch einen genaueren Blick zu den Nebenfelsen und tatsächlich, nach der Sanierung machen mehrere toll aussehende großzügige Linien Lust auf einen baldigen Besuch dort. |
Der filigrane Drehfels mit seiner Nordseite
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Mission Bräschdlingsernte, Tag 3Nach einem etwas regnerischen Tag, an dem sich dankenswerter Weise die Zehen von den engen Kletterschuhen wieder etwas erholen durften, stehen wir an der wunderbar sonnig gelegenen und dank des heutigen für Mitte Juni doch eher frischen Windes perfekt abgetrockneten, hoch über dem Ortsrand von Geislingen lauernden Löwin, der Wächterin über den Eingang ins Roggental. Die erste Orientierung am Fels zeigt gleich, dass es ein paar neue Routen gibt und die bestehenden Linien fast alle mit soliden Klebehaken versehen und teils sogar verlängert wurden. Der "Brandauer Weg" (6) zum Start, dann eine wirklich schöne, gut gesicherte Neutour ganz links an der Talseite (6+), sogar mit Verlängerung bis ganz oben mit Ausstieg in einer sehr schönen alten Risslinie möglich, sind zwar schon verdächtig nahe an einem Bräschdling, doch es wird noch besser. Richtig anspruchsvolle Wandkletterei ist dann in "Know How" (7) gefragt, die ihrem Namen alle Ehre macht. Und mit der neuen Verlängerung bis ganz oben lassen die luftigen, sehr athletischen Ausstiegsmeter den Verdacht aufkommen, dass diese Route neuerdings einen dunkelroten Bräschdling durchaus verdienen würde. Danach geht es dann gleich daneben mit "Zwischen Tier und Gott" (8-) ans Eingemachte. Wenn denn der warum auch immer manchmal immer noch 'metallophob' veranlagte Schwabensanierer denn noch die zarten Schlingelchen nach dem zweiten Haken ersetzen würde und dieser zweite durch Spendieren eines zusätzlichen ersten Hakens im richtig harten Einstiegswandl denn zu einem dritten machen würde, dann, ja dann wäre der begehrte Bräschdling auch dieser Route sicher. Denn die Kletterei ist einfach wieder genial, technisch, steil und pumpig. Solcherart gut aufgewärmt gönnen wir uns dann noch die in etwas moderateren Schwierigkeitsgraden angesiedelte "Südwestkante direkt" (7-/7). Hier sind die Abstände noch etwas luftiger, beziehungsweise die Haken manchmal etwas anstrengend seltsam positioniert, doch die ausgesetzte Kletterei und die Routenlänge sind phänomenal. Ganz klar ein Muss und völlig zu recht mit Bräschdling dekoriert. Die daneben liegenden Routen "Blühende Phantasie" (7-) und "Südriss" (7+) heben wir uns für den nächsten Besuch auf, ebenso wie den toll originell aussehenden "Kamin" (5), im "Spätzle & Seil" ebenfalls alle mit leckeren roten Früchtchen versehen. |
Die Löwin, Wächterin des Roggentals
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Operation Bräschdlingssuche, Tag 4Nachdem am Tag 2 unserer Schwäbische-Kletter-Schmankerl-Jagd abends bei der Besichtigung die relativ frisch sanierten Nebenfelsen des Drehfelsen unsere Neugierde geweckt hatten, manchen wir uns, von den knapp 200 Löwinnenmetern am Vortag zwar etwas angezählt, aber nichtsdestotrotz frohgemut und voller Entdeckerdrang auf den Weg zu besagtem Felsensemble. Den Weg kennen wir ja bereits und bald stehen wir am Wandfuß der zugegebener Maßen etwas gruslig aussehenden ersten Wand, an der der Zustiegsweg zu den Felsen direkt hochkommt. Aber immerhin, es glänzt eine beruhigende Anzahl Silberlinge in der ansonsten grauplattig, etwas spröde aussehenden Wandflucht. Was solls, Probieren geht bekanntlich über Studieren und die einfachste Route "Meiermann" (6) sieht wenigstens nach einer netten Linie mit Risspassagen aus, in denen man im Zweifel ja auch immer noch den einen oder anderen Keil versenken könnte. Aber holla, das Ganze entpuppt sich als recht gut ausgeräumt und perfekt vernünftig gesichert. Da auch hier offensichtlich nicht allzu großer Andrang an Kletterwilligen herrscht – wir haben jetzt die ganzen Tage, trotz mittlerweile Wochenende, noch keine weitere Seilschaft getroffen – sind die Griffe zwar manchmal von etwas Dreck und Staub bedeckt, doch nach einer ausgiebigen Bürstenaktion beim Ablassen kann dann zumindest Uli die Route richtig genießen. Da haben wir dann schonmal einen ernsthaften Bräschdlingskandidaten erwischt, falls sich diese Wände insgesamt als geeignet erweisen sollten, dann bei der nächsten Auflage als Alb-Auswahlfels im "Spätzle & Seil" mit aufgenommen zu werden. Eine noch unbekannte Neutour links oben ums Eck weckt als nächstes unsere Neugierde. Kurz aber schön steil präsentiert sich das Ganze und die eigentlichen Schwierigkeiten (ca. 7) sind auch richtig lohnend und gut gesichert, dann allerdings geht’s über ultra brüchigen Fels zur eher etwas weiter entfernten Umlenkung. Ohne einen weiteren Haken in diesem zwar einfachen, aber einfach mega kleinbrüchigen Ausstieg, ein Haken also, der bei Griff- oder Trittausbruch wenigstens ein sehr unangenehmes Abtauchen nach innen in die überhängende Wanne vermeiden würde, findet diese Neukreation sicher wenig Freunde und wird über Kurz oder Lang wieder komplett zudreckeln. Schade eigentlich! Auch ein entspannender Einstiegshaken würde dem Ganzen etwas mehr Spaßfaktor verleihen, zumal ja der eigentliche Teil der Route perfekt gesichert ist. Egal, wir machen uns rechts unserer ersten Route über den "Zugvogel" (7-) her. Auch hier schweift der Blick zunächst etwas irritiert die Wand empor, doch beim Klettern erweist sich die Linie als gut ausgeräumt und insgesamt wirklich gut gesichert, auch wenn man immer noch an der einen oder anderen Passage konzentriert klettern muss. Beim Klippen des Umlenkers sind wir jedenfalls mal wieder einer Meinung, das war eine richtig klasse technisch anspruchsvolle Albkletterei, glasklar bräschdlingsverdächtig mal wieder! |
Mächtige Verschneidung mit perfektem Gestein
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Weiter rechts oben locken uns dann die neuen Klebehaken in "Das kalte Herz" (7+). Schon sandsteinverdächtig ist hier der Fels, die Kletterei mal wieder etwas völlig anderes und eher albuntypisch. Über Seitgriffe und Reibungstritte, immer korrekt aber manchmal immer noch gut luftig gesichert, geht die Reise nach oben. Der neue Rechtsausstieg, der zusammen mit dem gut im Bereich 7- liegenden unteren Teil etwas einfacher als die Originalroute ist, ist nun leider eher weniger zu empfehlen. Die Gesteinsoberfläche ist zwar phänomenal sandsteinartig und die Länge mit dem Ausstieg bis ganz oben auch begeisternd, doch leider befinden sich die oberen 10 Klettermeter samt 2 Haken auf einem komplett hohlen, riesigen Pfeiler, der unten nur auf schmalen, bereits gebrochenen Felsblöcken aufliegt. Das ist schlicht und einfach unnötig, in solche Extrem-Großbruchbereiche neue Routen zu legen, auch wenn die Felsoberfläche noch so schön ist. Dann lieber den etwas schwierigeren linken Originalausstieg wählen, der zwar eine weniger tolle Felsoberfläche bietet, dafür aber gut ausgeräumt ist und eine rundum wirklich tolle Felsfahrt darstellt. Am selben Fels etwas links lockt dann eine nach perfektem Gestein aussehende Route an der linken Wand einer mächtigen Verschneidung mit kuriosem Durchgangsloch ganz oben das Entdeckerherz. Und wirklich, die Wandkletterei ist richtig spannend, anspruchsvoll in top Gestein, löchrig, leistig, Rissspuren, Seitgriffe, kleinste Tritte, also Albkletterei vom Feinsten! Oben Richtung Umlenkung wird es dann sogar richtig steil, leider dann an der Kante mit zwar großen jedoch hohlen Griffen noch kurz spannend zur Umlenkung, aber insgesamt eine tolle Ergänzung des Routenangebots, die irgendwo im 8. Grad anzusiedeln ist. Der Gesamteindruck dieses ersten Klettertages an den Nebenfelsen ist auf jeden Fall überaus positiv. Neben klasse Klettereien gibt es zwar auch Routen in eher fragwürdigem Gestein, doch mit einer gewissen Auswahl kann man hier tolle Klettertage mit einem großzügigen Routenangebot von rund 30 Kletterlinien verbringen. Von früheren Besuchen kennen wir die weiter links gelegenen Felsen bereits. Da die Linien selbst und die Kletterei, damals noch mit uralter Absicherung ohne Umlenkungen, jedoch auch schon wirklich klasse waren, dürften diese, nun mit neuen Klebehaken und Umlenkungen versehen, dazu ebenfalls frisch ausgeräumt, weitere extrem lohnende Kletterabenteuer darstellen. Wir werden uns jedenfalls bald davon überzeugen! Der Sommer hat ja noch gar nicht richtig angefangen und die eher östliche Ausrichtung der Felsgruppe ist sicherlich ideal für angenehm schattige Kletternachmittage ... Bräschdlingsjagd Ostalb - super wars!35 Jahre nach meinen damaligen Kletter-Gruselerlebnissen auf der Ostalb rund um Geislingen kann man jetzt mit Fug und Recht sagen: es hat sich eine Menge getan seither! Viele Felsen sind wirklich richtig gut saniert, gefärliche Bruchbereiche - sofern es ging - oft ausgeräumt. Auf jeden Fall gibt es mittlerweile richtig viele Routen, in denen man jede Menge Spaß beim Klettern haben kann, auch ohne die früher notwendige Abenteuer- und Risikobereitschaft mitbringen zu müssen. Sehr schön ist, dass die Klettereien deswegen trotzdem nicht langweilig sind, die Art der Kletterei ist einfach super interessant, unabhängig von der Absicherungssituation. Und den einen oder anderen Klemmkeil darf man trotzdem noch legen, denn wenn es gute Keilstellen gibt, sind diese Passagen immer noch nicht übertrieben mit Bohrhaken abgesichert, können dann aber selbst sehr gut nachgesichert werden. Daumen hoch also für die Sanierer auf der Ostalb! Klasse Arbeit mit viel Herzblut wurde hier geleistet und so das tolle Klettergebiet Schwäbische Alb in dieser Region auf einen wunderschön ausgewogenen modernen Stand gebracht. |
Der passende Kletterführer für die Schwäbische AlbSpätzle & Seil • Sportkletter-Auswahlführer Schwäbische Alb 61 besonders lohnende Felsen aus den Regionen: Reutlingen, Urach, Lenningen, Ostalb und Blautal. Inklusive -Routentipps |
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